Seit dem 23. September 2020 gilt für Institutionen aus dem öffentlichen Sektor eine neue EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit ihrer Websites und mobilen Anwendungen. Ziel ist es, möglichst vielen Nutzer*innen Zugang zu digitalen Inhalten zu ermöglichen. Was besagt die Richtlinie, welche Fristen gibt es und was konkret müssen Sie jetzt tun? Wir klären auf – Schritt für Schritt.
Gleichstellung und Accessibility im Netz
Der Frage, warum viele Websitebetreiber und Digitalagenturen der Gleichstellung und Accessibility im Netz so wenig Aufmerksamkeit schenken, sind wir in unserem Insightartikel "Grenzenloses Netz - Barrierefreiheit für alle" bereits auf den Grund gegangen. Es gibt zwar ein Bewusstsein für das generelle Anliegen der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV), über die konkreten Anforderungen und Aufgaben in der Umsetzung ist man sich jedoch oft unklar.
Wer ist betroffen?
Spätestens seit dem 23. September ist klar: Viele Websitebetreiber*innen sind verpflichtet, eine Erklärung zur Barrierefreiheit auf ihrer Website zu veröffentlichen. Außerdem müssen sie dafür sorgen, dass ihre digitalen Angebote möglichst viele Vorgaben der Barrierefreiheit erfüllen. Das gilt für Institutionen aus dem öffentlichen Sektor; auch Agenturen, die Aufträge aus dem öffentlichen Sektor erhalten, müssen die Richtlinie entsprechend beachten – etwa bei einem Website-(Re-)Launch. Nicht davon betroffen sind NGOs sowie öffentlich-rechtliche Rundfunksender.
Weg mit den Barrieren!
Hintergrund sind die Web Content Accesibility Guidelines (WCAG), die vorgeben, wie eine Website für alle zugänglich zu gestalten ist. Diese wurden von der Web Accessibility Initiative (WAI) und dem World Wide Web Consortium (W3C) verfasst. Das Regelwerk des WCAG umfasst die sogenannten WAI Richtlinien für die Gestaltung barrierefreier Websites, was vor allem Redakteur*innen und Entwickler*innen betrifft.
Die 4 Prinzipen der WCAG 2.1 lauten: Wahrnehmbarkeit, Robustheit, Verständlichkeit und Bedienbarkeit. Konformitätsstufe AA (beispielhaft Vergrößerbarkeit + Kontraste) sollte in jedem Fall für alle Websitebetreiber*innen erreichbar sein.
Was diese Prinzipien genau bedeuten, wird in 13 Richtlinien anhand sogenannter Maßnahmen beschrieben. Wie diese umzusetzen sind, wird in 78 Erfolgskriterien definiert. Diese sind wiederum in drei Stufen unterteilt.
Für welche Inhalte gilt die Richtlinie?
- Websites
- Apps und elektronische Verwaltungsabläufe
- PDFs
- Videos und Grafiken
- Timebased Media
Bei elektronischen Verwaltungsabläufen ist Deutschland im Allgemeinen strenger als es die EU-Richtlinie vorsieht. Die BITV 2.0 verlangt über die EU-Websiterichtlinie hinaus, dass auch Apps barrierefrei sein müssen.
Welche Fristen muss ich einhalten?
Seit dem 23. September 2020 müssen betroffene Websitebetreiber*innen verpflichtend eine Erklärung zur Barrierefreiheit bereitstellen. Außerdem sollten Sie einige weitere Fristen beachten, die für die Gestaltung einer barrierefreien Zukunft von Relevanz sind:
- Elektronische Verwaltungsabläufe/Apps müssen die Erklärung erst bis zum 23.06.2021 veröffentlicht haben
- Der erste Bericht der Ergebniskontrolle muss bis zum 23.12.2021 an die Kommission gesendet werden
- Die Kommission prüft bis zum 23.06.2022 die Anwendung der Richtlinie
Was muss meine Erklärung zur Barrierefreiheit beinhalten?
Die Rechtsgrundlagen der Erklärung zur Barrierefreiheit sind das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und die Barrierefreie Informationstechnikverordnung (BITV 2.0). Die Erklärung zur Barrierefreiheit muss von der Startseite und jeder Seite einer Website aus erreichbar sein – hierzu eignet sich etwa der Footer einer Website. Bei mobilen Anwendungen muss die Erklärung dort veröffentlicht werden, wo die Anwendung heruntergeladen werden kann.
Innerhalb der Erklärung sind Sie verpflichtet, die WCAG-Konformität Ihrer Website zu beurteilen. In der BITV 2.0 in § 7 Absatz 5 heißt es dazu:
Zur Erstellung der Erklärung zur Barrierefreiheit müssen Sie bewerten, inwieweit Ihre Website oder mobile Anwendung mit den in § 3 Absatz 1 bis 3 (BITV 2.0) festgelegten Anforderungen übereinstimmt.

Auch Apps sind von der neuen EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit betroffen.
Die Bewertung zur Einhaltung der Standards kann entweder durch eine Selbsteinschätzung oder beispielsweise durch einen unabhängigen BITV-Test des BITV-Test-Prüfverbundes erfolgen, also durch externe Anbieter. Die Einstufung der Konformität haben wir bereits in unserem Insightartikel „Grenzenloses Netz“ thematisiert.
Kontaktmöglichkeit und regelmäßige Updates
Innerhalb der Erklärung sollte außerdem ein Kontakt angegeben werden, um Feedback zur Barrierefreiheit geben und auf mögliche Mängel aufmerksam machen zu können. Zudem sollte gemäß § 16 BGG auf eine Schlichtungsstelle hingewiesen werden, die die Aufgabe hat, Konflikte zwischen Menschen mit Behinderungen und öffentlichen Stellen des Bundes zu lösen. Die Erklärung ist jährlich und bei jeder wesentlichen Änderung zu aktualisieren. Außerdem ist anzugeben, welche Teile der Website beziehungsweise der App noch nicht vollständig barrierefrei gestaltet wurden und warum. Wesentliche Informationen zu den Kerninhalten der Website sind in deutscher Gebärdensprache und leichter Sprache zur Verfügung zu stellen.
Ein Beispiel: mehr-zukunft.info/barrierefreiheit
Wer kontrolliert die Vorgaben?
Das übernimmt die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik (BFIT). Bei den öffentlichen Stellen der Bundesländer übernehmen die Überwachungsstellen der Länder diese Aufgabe. Die Stellen der Länder berichten dann an die BFIT und diese wiederum an die EU. Sollten Einrichtungen den Vorgaben zur Barrierefreiheit nicht nachkommen, können die einzelnen Mitgliedstaaten Bußgelder verhängen.
Unterstützung gibt es bei der Bundesfachstelle für Barrierefreiheit. Auch die WCAG 2.1 bietet mit einer Reihe von Best Practices im Bereich der Barrierefreiheit eine Hilfestellung.