Spielerisch neues Publikum gewinnen
Wie finde ich das Programm, das zu mir passt? Die Dresdner Philharmonie hat sich auf unbekannte Wege gewagt: Mit Gamification erschließt sie ganz neue Publikumskreise für sich. "Der Erfolg des Konzertfinders hat unsere Erwartungen weit übertroffen", sagt Yvonne Rißmann, Managerin für Digitales Marketing der Philharmonie.

Konzertprogramm für die verträumte Genießerin, den risikobereiten Abenteurer, das wissbegierige Brain oder technikaffine Neugierige: Mit dem Konzertfinder geht die Dresdner Philharmonie ungewohnte, spielerische Wege, um neues Publikum für klassische Musik zu begeistern.
Seit einem Jahr ist das Tool online, das wir gemeinsam entwickelt haben – und es wirkt stärker, als jemals erträumt.

Frau Rißmann, aktuell hört man immer wieder mal, dass gerade klassische Konzerthäuser vor Herausforderungen stehen, ihre Säle zu füllen …
Ja, da geht es uns in der Dresdner Philharmonie glaube ich nicht anders als anderen Häusern: Auf der einen Seite haben wir das Glück, dass uns viele Besucher:innen – unter ihnen viele Abonnent:innen – schon seit Jahren treu sind. Andererseits bedeutet das aber auch, dass der Altersdurchschnitt unseres Publikums geschätzt deutlich über 50 liegt. Natürlich bemühen wir uns um die junge Generation oder Menschen, die vielleicht nicht in der Welt der Klassik beheimatet sind. Und das, ohne unser Programm, unser Image, unsere Identität zu verwässern.
Könnte digitale Kommunikation dabei helfen?
Natürlich! Allerdings mit zwei Herausforderungen: Einerseits bedienen wir aktuell sehr viele Kommunikationskanäle parallel, vom Print, der immer noch gut ankommt, bis zum Digitalen. Andererseits bringen alle Kanäle nichts, wenn Sie den Leuten nicht genau das anbieten, was sie interessiert. Bei einem erfahrenen Publikum ist das etwas völlig anderes als bei einem neuen, das andere Bedürfnisse hat.
Viele haben ein grundlegendes Interesse an Kultur, an Musik, wissen aber nicht, was sie aussuchen sollen.
Uns haben Umfragen sehr geholfen, mehr darüber herauszufinden. Genannt wurden eigentlich zwei große Punkte, die den Zugang zur Klassik oft erschweren: Viele haben ein grundlegendes Interesse an Kultur, an Musik, wissen aber nicht, was sie aussuchen sollen. Tschaikowsky? Schubert? Wer sich nicht auskennt, steht da ziemlich verloren da.
Der zweite Punkt ist das Image der klassischen Musik: sehr formell, sehr intellektuell – vom Hörzugang bis zum Dresscode. Wir entgegnen: Das ist gar nicht so verschroben, wie du dir das vorstellst, du kannst einfach zu uns kommen! Diesen Ansatz verfolgen wir auch in unseren Social-Media-Postings.
Welche Rolle spielt in diesem ganzen Kommunikationsmix der Konzertfinder für Sie?
Also das war ein sehr bewusstes Projekt, um Klassik-Neulingen bei der Auswahl zu helfen und Hürden zu überwinden. Unsere grobe Idee war: Wir geben unseren, auch potenziellen, Besucher:innen eine ganz neue Möglichkeit, digital, verspielt, das richtige Konzert, das richtige Programm für sich zu entdecken. Gerne auch mit einem Design-Thinking-Ansatz, mit einer kleinen Zielgruppenauswahl … Und ja, an dieser Stelle sind auch schon Sie ins Spiel gekommen!
Gab es keine Bedenken, ein so facettenreiches Repertoire auf eine Handvoll Konzerttypen „herunterzukochen“?
Erstaunlicherweise nicht! Ich habe die Idee und das Ziel dahinter intern vorgestellt – da war schnell klar, das machen wir. Auch das Orchester hat es sehr gut aufgenommen. Ein paarmal kam: „Ich als Musiker:in kann nicht so viel damit anfangen, aber Freunde finden die Idee klasse – müsste also funktionierten.“
Nach dem Livegang gab es natürlich eine externe Feedback-Schleife vom erfahrenen Publikum und mitunter auch Unsicherheiten, aber das war recht überschaubar. Ressentiments, mit denen ich zumindest anteilig gerechnet hatte, gab es so gut wie gar nicht.

Meine große Erkenntnis: nicht scheuen, so etwas auszuprobieren!
Was waren für Sie die größten Herausforderungen?
Ich fand, der Konzertfinder hat sich eigentlich relativ reibungslos eingeführt: Viele Sorgen haben Sie gleich durch den klasse Design-Thinking-Workshop zu Beginn aufgelöst. Alles weitere – ausarbeiten, auswerten, Konzerte den Konzerttypen zuordnen – lief mühelos. Und danach kam nur noch die technische Umsetzung.
Meine große Erkenntnis: nicht scheuen, so etwas auszuprobieren! Vorher dachte ich: „Da steckt einiges an Herausforderungen drin, so leicht ist das nicht. Wie reagiert das Publikum?“ Und die Realität zeigt – nicht nur bei diesem Projekt: Oft sind diese Sorgen unbegründet. Wenn man sich hereinwagt, selbstbewusst an sein Projekt glaubt, Leute überzeugt und es dann gut strukturiert, dann läuft das.
Schöne Erkenntnis! Aber hat der Konzertfinder auch Ihre Erwartungen erfüllt?
Ja, tatsächlich hat er unsere Erwartungen sogar übertroffen! Wir hatten gehofft, dass die Leute ihn sehen, testen. Dass sie auch mal unser Programm ausprobieren und uns Feedback geben, das wir wiederum aufnehmen können. Womit wir nicht gerechnet hatten: dass über den Konzertfinder sehr viele Konzertkarten gekauft werden.

Wenn wir fragen: „Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?“, spielt der Konzertfinder eine viel größere Rolle, als wir gedacht haben.
Das Tool läuft jetzt ein Jahr. Knapp über 10.000 Nutzende haben uns seitdem erlaubt, sie zu tracken – und allein von denen hat fast jeder sechste ein Ticket gekauft, unglaublich. Wenn wir fragen: „Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?“, spielt der Konzertfinder eine viel größere Rolle, als wir gedacht haben. Was wir auch sehen können: Fast zwei Drittel dieser Käufe kommen von ganz neuen oder Gelegenheitskund:innen – auch das hat erstaunlich gut funktioniert.
Also sieht man jetzt andere Gesichter im Konzertsaal als vorher?
Ja, ich glaube, das Gefühl haben wir hier alle. Besonders auffällig ist das beim Format „Kurzkonzerte“, das wir parallel auch an vielen anderen Stellen bewerben: Das Publikum dort ist spürbar jünger und kleidet sich sehr individuell – manchmal betritt man den Saal noch mit Fahrradhelm. Auch bei den Sinfoniekonzerten um 19 Uhr am Freitagabend merkt man das, oder bei den U30-Tickets, die wir verkaufen.
Auch die kleine Angst, Neukund:innen würden womöglich – übertrieben gesagt – lautstark Popcorn essen, war völlig unbegründet: Die sind unfassbar konzentriert und wahnsinnig aufmerksam. Ok, sie klatschen natürlich manchmal zwischen den Sätzen …
Wie geht die Reise weiter mit dem Konzertfinder?
Ganz klar ist: Er funktioniert, wir behalten ihn. Aber können wir ihn vielleicht weiterentwickeln? Vielleicht gelingt es uns, noch etwas granularer in den Zuordnungen zu werden und so ein bisschen mehr musikalisches Profil einzubauen, auch für das erfahrenere Publikum. Vielleicht könnten wir noch multimodaler werden. Wir haben bereits Hörproben zum vorgeschlagenen Programm eingefügt – vielleicht wäre es machbar, diese mit KI auszulesen und dann zu sagen: „Wenn dir das gefällt, könntest du auch jenes mögen“. Grundsätzlich möchten wir uns gerne an aktuellen technischen Entwicklungen orientieren und den Konzertfinder noch ein bisschen ausbauen, noch attraktiver machen.
Solche Tools helfen sehr, ein Image der Offenheit zu etablieren.
Hat der Konzertfinder auch Einfluss auf die Außenwirkung der Dresdner Philharmonie?
Ja, durchaus: Unsere Umfragen, etwa die Frage „Welche Attribute würden Sie uns zuschreiben“, zeigen: Bei Themen wie Innovation, Offenheit, Herzlichkeit, also Willkommenskultur, haben wir Riesenpluspunkte gesammelt. Wir gelten als Orchester, das eine enorm hohe Qualität hat, das aber auch einladend ist und das jeder mal ausprobieren kann. Solche Tools helfen sehr, so ein Image zu etablieren.
Wir haben uns getraut - und wirklich nur positive Erfahrungen gemacht.
Der Konzertfinder als imageprägendes Tool?
Total. Das ist übrigens nicht nur vom Publikum, sondern auch in der Presse so aufgenommen worden – selbst von ansonsten kritischen Stimmen. Es sind sich ja immer alle einig, dass Kultur wichtig ist und dass man unbedingt neues Publikum dafür braucht. Es gibt jedoch immer gleichzeitig die Angst, wenn wir etwas Neues machen, dass es negativ aufgenommen wird.
Doch wir haben wirklich nur positive Erfahrungen gemacht: Alle – das Publikum, intern und generell alle um uns herum – haben den Konzertfinder von Anfang an als eine tolle, innovative Möglichkeit wahrgenommen, neues Publikum einzuladen.